«Sport und vor allem Fussball sind hoch relevant für uns. Statt einen Berater von McKinsey zu holen, habe ich mich für einen entschieden, der mitten im Geschehen steht.» Marc Walder, CEO Ringier AG
Ihr Pressesprecher hat uns mögliche Fragen vorformuliert. Würden Sie einen Journalisten anstellen, der ein solches Angebot annähme?
Ich schätze es als Journalist, wenn im Vorfeld eines Interviews die Themen definierte werden, die man diskutieren möchte. Solange das nicht bindend ist.
Zum Zeitungsmachen: Der «Blick am Abend», Ihr neustes Produkt, soll jährlich 4 bis 5 Millionen Verlust schreiben. Es gibt kaum Werbung im Blatt. Wo liegen die Probleme?
Das mit den 4 bis 5 Millionen Franken Defizit ist Unfug. Wir sind mit der Entwicklung zufrieden. Die erfolgreichste Gratiszeitung der Welt, «20 Minuten», brauchte auch mehrere Jahre, um profitabel zu werden. «Blick am Abend» ist die einzige mir bekannte Tageszeitung der Schweiz, deren Anzeigenvolumen wächst.
Wie lange wollen Sie am «Blick am Abend» noch festhalten?
Warum ist eine Gratiszeitung in einem so reichen Land wie der Schweiz erfolgreich? Weil so viele Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, in einladender Atmosphäre. Es ist gemütlicher, zwischen Bern und Burgdorf «20 Minuten» zu lesen als in der Metro von Tokio. Wir wollten die Marke «Blick» auf das junge, urbane, kaufkräftige Segment ausdehnen. Das ist uns gelungen.
Wie mans nimmt. Es steht so wenig in dieser Zeitung, dass man sie lange vor Burgdorf gelesen hat.
Für die Lektüre von «20 Minuten» brauche ich auch nicht eine Zugfahrt von Chur nach St. Gallen. Ich teile die Kritik höchstens insofern, dass wir beim «Blick am Abend» vermehrt diskutieren, wie man Themen wie Krimkrise, Erbschaftssteuer oder Masseneinwanderungsinitiative abhandeln könnte.
Ringier ist ein Coup mit den SBB gelungen: Wer das Gratis-WLAN in den Bahnhöfen nutzt, sieht als Erstes «Blick am Abend» auf dem Schirm. Heisst das, dass Sie die Printausgabe bald einstellen?
In Trams, Zügen und Bussen lesen alle «20 Minuten» und «Blick am Abend». Unsere Zeitung hatte bis vor kurzem keine digitale Existenz. Deshalb ist die Partnerschaft mit den SBB so wichtig.
Ist es nicht politisch heikel, wenn die SBB als Bundesbetrieb über Wi-Fi die Inhalte eines privaten Medienunternehmens anpreisen?
Das Angebot wurde ausgeschrieben, wir bekamen den Zuschlag.
Die Zahlen stimmen nicht. Journalistisch sind Michael Ringier und ich sehr zufrieden, wie der «Blick» und der «SonntagsBlick» unter den neuen Chefredaktoren gemacht werden.
Die beiden Zeitungen entstehen in einem gemeinsamen Newsroom. Führt das nicht zur Nivellierung?
Ich habe den Newsroom mitkonzipiert und sehe die Vor- und Nachteile, die er mit sich bringt. Nun: Es ist heutzutage undenkbar, dass fünf verschiedene Redaktionen fünf verschiedene Kanäle nonstop journalistisch versorgen. Ich sehe aber die Gefahr, dass der «SonntagsBlick», der eher am Ende dieser Nachrichtenkette bedient wird, zu wenig Ressourcen erhalten könnte.
Der «SonntagsBlick» ist noch immer mit Abstand die grösste Sonntagszeitung der Schweiz. Ja, ich glaube, dass Christine Maier die richtige ist.
Es gab einige: letzten Sonntag die Hypothekarzins-Story und davor den Rentenplan der SBB. Wirklich relevante Enthüllungsgeschichten, die etwas in Gang setzen, sind selten geworden. Ich schätze sie auf vielleicht zwanzig pro Jahr – verteilt auf die verschiedenen Titel in der Schweiz. Daneben gibt es zahlreiche Pseudoenthüllungen und -skandale, die nichts anderes sind als Inszenierungen von Politikern, Lobbyisten und anderen.
Der Newsroom. Zuvor machten wir die Zeitung als verschworenes Team. Ich kann verstehen, dass der «SonntagsBlick» jetzt um Ressourcen kämpft.
Eine Absage an den Newsroom?
Das ist jetzt dermassen boulevardesk verkürzt, dass dies sogar in diesem Haus nicht akzeptabel ist (lacht). Vor allem ist es falsch. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass die Marke «Blick» in einer Woche 3 Millionen Menschen erreicht? Der Newsroom ist eine Anpassung an die Bedürfnisse der Leser und die technologischen Möglichkeiten.
Reden wir von Personen, mit denen Sie zu tun haben. Etwa Frank A. Meyer: Wie viel Einfluss hat er noch?
Er hat direkten Kontakt zu Michael Ringier und zu mir. Diesen nützt er dazu, seine Meinung zu äussern. Er tut das offen und direkt, auch weil er keine strategischen Rücksichten nehmen muss. Dazu kommt seine wöchentliche Kolumne im «SonntagsBlick».
«Auf einen Espresso mit Frank A. Meyer» heisst eine Rubrik, bei der Sie das Stichwort liefern und er dann seine Meinung verbreitet. Ist Ihnen das nicht peinlich?
Vor sechs Jahren haben wir beide über «Die Zeit» diskutiert. «Auf eine Zigarette» zwischen Giovanni Di Lorenzo und Helmut Schmidt fanden wir beide wunderbar. Da Frank und ich keine Raucher sind, haben wir auf Koffein gesetzt. Ihm macht die Begegnung Spass, mir garantiert sie jeden Freitag um sieben Uhr morgens eine journalistische Stunde. Ich sehe meine Rolle darin, ihn zu aktuellen Themen zu befragen. Daran wollten wir nichts ändern, nur weil ich CEO wurde.
Ringier hat Nati-Trainer Ottmar Hitzfeld als Berater eingebunden: ein seltsames Arrangement.
Wir haben uns diese Zusammenarbeit gut überlegt. Ja, er berät uns. Und wir bezahlen ihn. Aber nicht dafür, dass er uns am Vorabend eines Nati-Spiels verrät, wer in der Viererkette steht. Sondern dass er uns sporttechnisch berät. Der beste Beweis für diese strikte Trennung ist die Tatsache, dass sich der «Blick» ziemlich verspekulierte, als es um Hitzfelds Vertragsverlängerung als Nati-Trainer ging. Sport und vor allem Fussball sind hoch relevant für uns. Statt einen Berater von McKinsey zu holen, habe ich mich für einen entschieden, der mitten im Geschehen steht.
Haben Sie Vladimir Petkovic, Hitzfelds Nachfolger, schon verpflichtet?
Ich kenne ihn nicht, werde ihn aber sicherlich treffen.
Auch Gerhard Schröder ist als Berater unter Vertrag. Was macht er genau?
Ich war diese Woche mit ihm in Serbien. Wir trafen die Regierung. Gerhard Schröder berät uns in politischen Fragen, in all unseren Ländern. Davon abgesehen ist er ein Freund von Michael Ringier und mir geworden. Ein wunderbarer Mensch. Er gehört zur Ringier-Familie.
Ringier ist heute auch ein Unterhaltungskonzern, der Konzerte organisiert und dann darüber berichtet.
Wenn Madonna ein miserables Konzert gibt, sollen wir das auch schreiben.
Krokus, Gotthard: musikalisch von gestern, bei Ringier überpräsent.
Mag sein, aber ich sehe kein wirtschaftliches Motiv von unserer Seite.
Geht die Schweiz mit ihren Stars zu nett um?
Vielleicht. Die Deutschen machen das besser. Eine intelligente, auch kritische Auseinandersetzung mit unseren Prominenten ist keine Schweizer Stärke.
Zum Geschäftlichen. Es geht das Gerücht, dass Ringier und Axel Springer in der Schweiz vor einem Vertragsabschluss stehen. Das Digitalgeschäft soll an Springer gehen, die Zeitschriften an Ringier.
Nachdem die Familie Ringier so viel Geld in die Weiterentwicklung des Unternehmens investiert hat, rund 1,4 Milliarden Franken in den letzten Jahren, ist ein solches Szenario kein Thema.
Warum nicht?
Uns war immer klar, dass wir ins digitale Geschäft mit Kleinanzeigen wollen. Während Jahren haben wir auf Tamedia geschaut, die mit dem Stellenanzeiger viel Geld verdiente. Zu unseren Titeln passten Stellen- und Immobilienangebote nicht. Mit den Investitionen sind wir nun auf einmal Marktführer in sämtlichen Segmenten! Es hat viel Verhandlungsgeschick und Geld gebraucht, das zu erreichen. Es wäre absurd, das Geschäft jetzt Axel Springer zu übergeben.
Und ein Deal in anderer Richtung?
Wir würden unsere Zeitschriften nie an Springer abgeben.
Das nehmen wir Ihnen nicht ab.
Vor Jahren standen Michael Ringier und seine Familie vor der Entscheidung, ob man den Umbau mit viel Geld vornehmen oder das Unternehmen verkaufen soll. Die Aktionäre entschieden sich für Ersteres. Ein wegweisender Entscheid.