Neuen Zürcher Zeitung

| 19.12.15 | Von Jürg Müller und Rainer Stadler

«Wir stehen für die neue Medienwelt»

Firmen verlangten heute Werbelösungen aus einer Hand, meint Ringier-Chef Marc Walder. Der Zwist unter den Verlegern sei daher ein historischer Fehler.

Marc Walder, nach der Genehmigung der Werbeallianz durch die Wettbewerbskommission könnten Swisscom und Ringier bereits starten. Tun Sie das?

Nein, wir warten die Beurteilung des Bundesamts für Kommunikation ab.

Angenommen, die SRG wird gestoppt: Machen dann Swisscom und Ringier alleine weiter?

Etwas viel Konjunktiv. Wir haben uns mit solchen Szenarien nicht auseinandergesetzt.

Wir haben Zweifel, dass dieses hochkomplexe Vermarktungsunternehmen überhaupt gelingen wird.

Die Medien- und Werbeindustrie befindet sich in einer gewaltigen Umbruchsphase. Niemand weiss, wie sich welches Geschäftsmodell innerhalb welcher Organisation bewähren wird. Unser Joint Venture hat jedenfalls Sinn. Ob uns die Realisierung gelingt – wir werden sehen. Sicher ist: Nichts zu tun, wäre fatal. Für alle.

Es gibt ein abschreckendes Beispiel, die untergegangene PubliGroupe, die ebenfalls eine Vermarktungs-Plattform für alle hatte aufbauen wollen.

Man darf die PubliGroupe nicht mit unserem geplanten Joint Venture vergleichen. Aber was wäre denn die Alternative zu unserem Vorhaben? Sollen wir zuschauen, wie US-Firmen wie Google, Facebook, Youtube, die uns meilenweit voraus sind, den Markt übernehmen? Die Konsumenten verändern ihr Verhalten – 94% der Schweizer Haushalte sind bei Google oder Youtube, 85% bei Facebook. Die Werbewirtschaft schichtet ihre Aufträge neu. Wir versuchen, auf diese Entwicklung Antworten zu finden. Der Schweizerische Werbeauftraggeberverband unterstützt unsere Initiative; die Auftraggeber wünschen sich starke Angebote für ihre Werbefranken. Das ist für uns ein wichtiges Signal.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit finanziell? Angenommen, jemand liest einen «Blick»-Artikel auf dem Handy und sieht personifizierte Werbung: Wie werden die Erträge zwischen Daten- und Inhalte-Lieferanten aufgeteilt?

Der «Blick» würde in diesem Fall eine Kommission an unsere Vermarktungsfirma bezahlen. Swisscom und die SRG wiederum sind an dieser beteiligt und bekommen dann Geld, wenn das Joint Venture Gewinne macht.

Die Daten werden also nicht per Datenlieferung verrechnet?

Nein. Wir investieren viel Geld in diese Vermarktungsfirma, damit aggregierte Daten zur Verfügung gestellt werden können. Wenn dies gut funktioniert, wird den einzelnen Medien mehr Werbung ausgeliefert. Das Joint Venture finanziert sich wiederum über die Kommissionen.

Swisscom verfügt über Daten zur Nutzung der Privatsender. Den Wissensvorteil könnte ihre Werbeallianz nutzen, um eigene Angebote entsprechend auszurichten. Sie verzerren so den Wettbewerb mithilfe staatsnaher Betriebe.

Vorgesehen ist, dass innerhalb des Joint Venture Daten genutzt werden können, die Swisscom auf ihrer TV-Plattform selber erhebt. Beispielsweise, wann und wie lange ein Nutzer RTL, Pro7 oder Sat.1 schaut – diese Informationen sind den Mediapulse-Daten ähnlich. Private Sender können nun Kunden unserer geplanten Vermarktungsfirma werden. Wenn sie dabei die Informationen der Vermarktungsfirma nutzen wollen, müssen sie ihre eigenen Daten einbringen. Weiterführende Daten, welche die Swisscom von Sendern ausserhalb des Joint Venture hat, können nicht verwendet werden. Diese gehören selbstredend dem jeweiligen Sender.

Sie wollen «innovative Werbeformen» anbieten. Mit welcher neuen Dienstleistung werden Sie starten?

Wir werden bald zielgruppenspezifische Werbespots ermöglichen. Wenn Online-Portale personalisierte Werbung bereitstellen können, erwarten die Werbeauftraggeber entsprechende Angebote auch vom Fernsehen. Die SRG würde den Anschluss verlieren, wenn sie hier nicht mithalten kann. Die Werbeauftraggeber sind darüber hinaus an Lösungen aus einer Hand interessiert. Sie fordern mehr und mehr eine Art One-Stop-Shop, der ihre Kommunikationsbedürfnisse einfach bedient.

Da stellt sich die Frage nach der Neutralität des Zwischenhändlers.

Entscheidend wird immer mehr, dass ich dem Werbeauftraggeber die richtige Zielgruppe anbieten kann. Genau dies ist Sinn und Zweck des Joint Venture.

Ringier kontrolliert Energy Zürich und Bern. Diese werden von der Konkurrentin Goldbach Group vermarktet. Wie gehen Sie da im Rahmen der Kooperation vor?

Goldbach ist wichtiger Partner für Energy, und das respektieren wir. Gleichzeitig ist aber das Radiogeschäft im Joint Venture vorgesehen. Die detaillierte Umsetzung werden wir nächstes Jahr in Angriff nehmen.

Ist mit Partnerschaften mit den SRG-Radios zu rechnen, denen Werbung verboten, aber Sponsoring erlaubt ist?

Wir prüfen die Möglichkeiten innerhalb der Konzessions-Richtlinien.

Sie sagen, die Werbeallianz stehe allen offen. Wie vermitteln Sie Ihren Verlegerkollegen, dass diese willkommen sind und fair behandelt würden?

Das bezieht sich auch auf die damalige Präsidiumssitzung des Verbands Schweizer Medien. Wir offerierten dort, sofort Gespräche aufzunehmen, wie der Werbemarkt Schweiz gestärkt werden kann. Die mittleren und kleinen Verlage leiden noch viel mehr unter der digitalen Transformation als die grossen, die sich bereits stark diversifiziert haben. Wir haben von der ersten Sekunde an klargemacht, dass unsere Lösung eine offene Plattform sei. Die Mitglieder des Verbands – in unterschiedlichem Ausmass und getrieben von Tamedia – sind aber leider auf Konfrontation gegangen. Ein historischer Fehler.

Das ist nun Vergangenheit.

Richtig. Unser Angebot gilt dennoch weiterhin. Nur haben wir sechs Monate verloren, in denen viel Geschirr zerschlagen wurde. Es heisst ja immer, SRG und Swisscom seien früher auch schon bei den anderen Verlagen vorstellig geworden. Das ist Unsinn. In jenen Gesprächen ging es um die Evaluierung einer technologischen Plattform. Heute planen wir eine gemeinsame Vermarktungsfirma, die allen offensteht.

Kommt für Sie eine kapitalmässige Beteiligung weiterer Akteure am Joint Venture infrage?

Nach den vielen Gehässigkeiten ist das im Moment schwierig. Verhandlungstechnisch wäre es besser gewesen, unser Angebot zu Beginn zu prüfen.

War damals auch von einer Beteiligung die Rede?

Wir sollten nach vorne blicken. Nochmals: Es sind alle herzlich eingeladen. Weiterhin.

Sie sind nun Verwaltungsratspräsident eines staatsnahen Unternehmens. Sind Sie der Öffentlichkeit nicht mehr Details zur Finanzierung des Joint Venture schuldig?

Gemäss Gesetzgebung sind wir das nicht. Ringier ist ein privates Unternehmen. Die Swisscom und die SRG müssen zur Finanzierung der neuen Vermarktungsfirma keine Auskunft geben. Zur Geschäftstätigkeit werden wir uns allerdings äussern.

Sie sprechen hier auch im Namen von SRG und Swisscom, die sich hinter Ihnen verstecken können. Fühlen Sie sich wohl als «privatwirtschaftliches Feigenblatt»?

Ja, definitiv (lacht). Ich spreche als zukünftiger Verwaltungsratspräsident des Joint Venture und nicht als privatwirtschaftliches Feigenblatt. Lassen Sie mich sehr offen sein: Die SRG und die Swisscom hätten dieses Joint Venture ohne eine private Beteiligung wahrscheinlich medienpolitisch nicht machen können. Die jetzige Konstellation Swisscom, SRG, Ringier wiederum überzeugt. Der Markt verlangt ja gerade das ganze Spektrum an Werbeinventar.

Zurück zum Spannungsfeld zwischen Staat und Privatwirtschaft. An Ihrem Partner Swisscom hält der Bund eine Mehrheitsbeteiligung – ein Problem?

Für mich hat sich die Frage nie gestellt, ob die Situation anders wäre, wenn da nicht die Eidgenossenschaft als Ankeraktionär wäre. Ich finde es richtig, so wie die Swisscom heute aufgestellt ist.

Wegen des Streits um die Werbeallianz traten Sie aus dem Verlegerverband aus. Wann werden Sie einen Konkurrenzverband gründen?

Im Zuge dieser Debatte und auch der Aggressivität, die SRG, Swisscom und Ringier entgegenschlugen, entstand eine Dynamik. Vereinfacht gesagt: Es gibt eine alte und eine neue Medienwelt. Der Verlegerverband steht vor einem fundamentalen Problem. Er muss seine Rolle neu definieren. Dass sich jetzt drei zusammentun, die für die neue Medienwelt stehen, macht es für die Mitglieder des Verbands nicht einfach. Sie müssen sich entscheiden, wo sie hingehören. In diesem Zusammenhang hat es viele Anfragen gegeben. Ich würde nicht ausschliessen, dass ein Interessen-Konstrukt zustande kommen wird, in dem sich Unternehmen bündeln, die für die neue Medienwelt stehen.