NZZ am Sonntag: Herr Walder, im Februar stimmen wir über das Medienpaket ab. Was steht dabei für Ringier auf dem Spiel?
Marc Walder: Für Ringier selber steht eher wenig auf dem Spiel, vor allem im Vergleich zu den anderen grossen Medienunternehmen wie TX-Group, CH Media oder NZZ. Wir haben keine regionalen und lokalen Medien in unserem Portfolio. Und wir sind stark im Ausland tätig. Aber für die Schweiz geht es um sehr viel: um die Medienvielfalt in unserem Land und um die Existenz der kleinen und mittleren Zeitungen.
Bitte etwas konkreter. Wie viel erhält Ringier von den 150 Millionen Franken für Medienförderung, die der Bund verteilen wird?
Wir können nur schätzen. Wohl ungefähr fünf bis acht Millionen Franken.
Gegner sagen, hier würden Bundesgelder an ohnehin reiche Verleger gehen.
Die Digitalisierung hat diese Industrie komplett verändert. Die Auflagen sinken, die Werbung geht in die USA zu den Tech-Plattformen Google und Facebook. Global sind in dieser Zeit unzählige Medienunternehmen verschwunden. Es ist gerade in einer direkten Demokratie wichtig und richtig, dass der Staat die Zustellung der Zeitungen durch die Post unterstützt, wie er dies seit der Gründung des Bundesstaates tut. Und die Onlineförderung, die neu dazukommt, bevorteilt die Kleinen. Das finden wir nicht lustig, es ist aber korrekt und im Sinne des Landes.
Sie sprachen im Zusammenhang mit dieser Kritik auch schon von billigem Populismus. Warum so enerviert?
Hier bereichert sich niemand. Das Geld geht vor allem an die Post und die Kleinen. Im Gegenteil. In unserem Fall hat die Familie Ringier zwei Milliarden investiert, um das Unternehmen in die Zukunft zu führen. Sie ist an ihr Limit gegangen, hat viel riskiert.
Nächster Vorwurf der Gegner: Indem Medien mehr Geld aus Bern erhalten, geben sie ihre Unabhängigkeit preis. Ist das richtig?
Nein. Das Medienpaket ist ein austarierter politischer Kompromiss. Das Parlament hat viel und lange daran gearbeitet. Von wem sollen die Medien konkret abhängig werden? Von den Linken, den Rechten, der Mitte?
Die Finanzierung durch den Staat ist toxisch für die Glaubwürdigkeit des Journalismus.
Haben Sie wirklich das Gefühl, dass die Journalistinnen und Journalisten nach einer Annahme des Gesetzes weniger kritisch berichten über die Politik in Bern?
Schon nur der schiere Verdacht kann schaden.
Wie gesagt: Es ändert sich ja nicht viel mit dem neuen Gesetz. Der Vertrieb wird seit über hundert Jahren gefördert, da wird nur der Betrag für die Post erhöht. Und die Onlineförderung hilft den kleinen, neuen, lokalen, zeitlich begrenzt in dieser Übergangszeit von Print zu Digital.
Das ist ein wesentlicher Schritt von der reinen Förderung des Vertriebs hin zu der direkten Förderung journalistischer Arbeit.
Nur Onlineportale mit einem Abo-Modell erhalten die direkte Unterstützung, die Kleinen proportional mehr als die Grossen. Der «Blick» etwa erhält von der direkten Förderung praktisch nichts.
Apropos Unabhängigkeit. Wie kommt es, dass der «Blick» zeitgleich mit dem Bund eine Kampagne für die Impfung lanciert? Am Donnerstag platzierte die Zeitung auf der Titelseite einen Impfaufruf von 80 Prominenten.
Das war die Idee von André Bechir, dem ehemaligen Good-News-Chef. Diese hat die Redaktion aufgenommen. Unsere Berichterstattung geschieht in allen Publikationen unabhängig. Aber es ist wichtig, dass wir Meinungen vertreten, das tut die «NZZ am Sonntag» ja auch. Wir unterstützen die Impfkampagne, weil es wichtig ist, die Impfquote zu erhöhen – damit wird der medizinische und der wirtschaftliche Schaden der Pandemie substanziell begrenzt. Und wir können trotzdem in den Zirkus, ins Restaurant, ins Fitness, ans Eishockeyspiel und ins Kino.
Ringier hat auch alles Interesse, als Veranstalterin und Inhaberin von Sportrechten. Eine gefährliche Interessenkollision?
Nein. Jedes Unternehmen, gross oder klein, hat ein Interesse, dass das gesellschaftliche Leben bestmöglich stattfinden kann.
Verdient Ringier an dieser Impfoffensive des Bundes, etwa als Veranstalter der dazugehörigen Konzerte?
Nein.
Zurück zum Mediengesetz. Mittlerweile gibt es eine Opposition von politisch rechts bis Mitte. Kann man diese Abstimmung gewinnen?
Es dürfte eng werden. Es muss uns gelingen, den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, wie wichtig Medienvielfalt für die Schweiz und unsere direkte Demokratie ist.
Für einmal sind die Medien direkt von einer Abstimmung betroffen. Das wirft Fragen auf. Wie sollen sie berichten? Wie stark darf sich der Verlag in die Redaktion einbringen? Wie geht Ringier mit dem Dilemma um?
Wir haben dazu keine Richtlinien herausgegeben. Die Redaktionen berichten wie vor jeder Abstimmung unbefangen und ausgewogen. Die vergangenen Wochen zeigen, dass dem so ist.
Wäre es nicht gescheiter, den Markt spielen zu lassen, statt nach Staatsgeldern zu rufen?
Der Markt spielt sowieso, aber global. Darum sind vom Medienstandort Schweiz aus Hunderte von Millionen Franken in die USA abgewandert. Die Grossen sind nicht Ringier oder die NZZ, die Grossen sind Google und Facebook.
Diese Plattformen sind zwar Umsatzmaschinen, die mit Werbung viel Geld verdienen. Aber Journalismus betreiben sie nicht. Da liegt die Macht bei den grossen Medienhäusern.
Da treffen Sie ins Schwarze. Wir erarbeiten mit viel Aufwand Inhalte, und diese werden dann von Google und Facebook verwertet. Dieser Fehler muss nun korrigiert werden.
Sie sprechen das Leistungsschutzrecht an, das teilweise im Ausland schon besteht.
Korrekt. Dies ist vielleicht die wichtigste Weichenstellung für die Medienindustrie überhaupt. Medien sollten für die Nutzung ihrer Inhalte fair entschädigt werden von Google und Facebook. Da sind sich mittlerweile alle einig. Aber es dürfte noch Jahre dauern, bis wir in der Schweiz so weit sind. Ein Teil des Gewinns der Tech-Konzerne gehört den Medien.
Wie hoch soll dieser Anteil in der Schweiz sein?
In vielen Ländern rechnet man mit zehn Prozent des mit diesen Inhalten erzielten Umsatzes. Das scheint fair.
Das wären alleine von Google in der Schweiz rund 100 Millionen für die Verlage.
Diese Grössenordnung dürfte stimmen.
Und weshalb sollen bloss die Verlage Geld erhalten, einzelne Blogger etwa nicht?
Alle sollen entschädigt werden, wenn sie nach journalistischen Kriterien Inhalte erstellen.
Sind Sie konkret am Verhandeln mit Google und Facebook?
Die TX-Gruppe, CH Media, die NZZ und Ringier wollen dieses fundamentale Thema gemeinsam angehen. Wir suchen für alle Marktteilnehmer eine gemeinsame Lösung mit den grossen Tech-Plattformen.Das heisst, Sie führen Gespräche?
Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.
Anders gefragt: Streben Sie eine privatwirtschaftliche oder eine gesetzliche Lösung an?
Beides. Ohne Leistungsschutzrecht gibt es keine juristische Legitimation, eine Entschädigung von Google und Facebook zu fordern. Darum braucht es eine gesetzliche Grundlage und dann faire Verhandlungen.
Was erwarten Sie von der Politik?
Wir hoffen, dass der Bundesrat aktiv wird und eine Vorlage präsentiert. Jedes Land braucht ein Leistungsschutzrecht. Sonst bleibt das Internet diesbezüglich ein rechtsfreier Raum.
Auch hier machen sich die Medien also wieder von der Politik abhängig.
Nicht mehr als andere Branchen auch. Alles hat mit Politik zu tun. Sie schafft die Rahmenbedingungen, mit denen wir alle leben.
Vor zehn Jahren sagten Sie einmal in der Zeitung «Die Zeit», Ihr oberstes Ziel sei es, dass die Familie Ringier gut schlafen könne. Wie steht es nun um deren Schlaf?
In den letzten Jahren hat sie oft unruhig geschlafen. Heute darf man sagen: Die Transformation weg vom Verlag zu einem diversifizierten Medienunternehmen ist geglückt. Was den Schlaf weiterhin beeinträchtigt, sind die Medien: Wir haben immer noch 120 Medienmarken in über 15 Ländern. Sie bleiben ein unsicheres Geschäftsmodell.